Stellplatznachweis ist Sache aller Eigentümer
Die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen an den Stellplatznachweis ist Aufgabe aller Wohnungseigentümer, wenn der Bauträger bei der Errichtung der Wohnanlage und der Teilung nach § 8 WEG von den der Baugenehmigung zugrundeliegenden Plänen abgewichen ist und dadurch die öffentlich-rechtliche Verpflichtung besteht, weitere Stellplätze zu schaffen.
Die Parteien bildeten eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Die beiden im Eigentum der Klägerin stehenden Wohnungen (Nr. 337 und 339) sind in der 1968 erteilten Baugenehmigung als eine Wohneinheit (Nr. 337) erfasst. Die Wohnung wurde später durch den Bauträger geteilt. In der Teilungserklärung vom 29. Mai 1969 sind beide Wohnungen aufgeführt. Eine Klage des Rechtsvorgängers der Klägerin auf bauaufsichtliche Genehmigung der Nutzungsänderung blieb mangels Stellplatznachweises ohne Erfolg.
In der Eigentümerversammlung am 31. Mai 2013 wurde unter TOP 12 folgender Beschlussantrag der Klägerin mehrheitlich abgelehnt: „Die Verwaltung wird ermächtigt, den fehlenden Pkw-Stellplatznachweis für die Wohnungen 337 und 339 bzw. für alle Wohnungen, zu denen keine Stellplatznachweise bestehen, durch einen zu beauftragenden Architekten erarbeiten zu lassen bzw. an die Gemeinde (…) eine Ablösesumme als Stellplatzablösung zu zahlen. In diesem Fall wird der Verwalter beauftragt, mit der Gemeinde (…) Verhandlungen zu führen, eine Stellplatzablösevereinbarung zu schließen und die vereinbarte Stellplatzablösesumme zu bezahlen. Diese Beträge werden aus den Bewirtschaftungskosten finanziert.“
Die Klägerin hat verlangt, den Beschluss für ungültig zu erklären und die Beklagten zu verpflichten, einen Stellplatznachweis für das Wohnungseigentum Nr. 337 und Nr. 339 zu führen, hilfsweise einen Stellplatzablösevertrag mit der Gemeinde für die Ersetzung des Stellplatznachweises für beide Wohnungen abzuschließen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht den angefochtenen Beschluss für ungültig erklärt. Ferner hat es die Beklagten verpflichtet, die öffentlich-rechtlichen Anforderungen an den Stellplatznachweis in Bezug auf die Wohnung Nr. 339 zu erfüllen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, wollen die Beklagten die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZMR 2015, 961 veröffentlicht ist, meint, der Klägerin stehe nach § 21 Abs. 4 WEG ein unverjährbarer Anspruch gegen die übrigen Wohnungseigentümer auf erstmalige Herstellung eines ordnungsmäßigen Zustandes des gemeinschaftlichen Eigentums und des Sondereigentums entsprechend der Teilungserklärung, der Gemeinschaftsordnung, dem Aufteilungsplan und den Bauplänen zu. Dieser umfasse auch die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften. Zwar entspreche die Errichtung der Wohnungen nicht dem genehmigten Bauplan. Da jedoch an den beiden Wohnungen Sondereigentum begründet worden sei, seien insoweit auch die öffentlich-rechtlichen Anforderungen an den Stellplatznachweis nach der Landesbauordnung Schleswig-Holstein (LBO SH) zu erfüllen. Diese Verpflichtung treffe die Gesamtheit der Wohnungseigentümer als Dauerverpflichtung. Daher widerspreche der angegriffene Beschluss ordnungsmäßiger Verwaltung. Welche Maßnahmen die Wohnungseigentümer zur Herstellung eines ordnungsmäßigen Zustandes wählten, liege in ihrem Ermessen. Diese könnten - und dies auch nur in Bezug auf die Wohnung Nr. 339, da die erteilte Baugenehmigung die Wohnung Nr. 337 umfasse - lediglich dazu verpflichtet werden, die öffentlich-rechtlichen Anforderungen an den Stellplatznachweis zu erfüllen.
Nach dem Urteil des 5. Senat des Bundesgerichtshofs hält die landgerichtliche Entscheidung der rechtlichen Nachprüfung im Wesentlichen stand. Dazu führt der Bundesgerichtshof aus:
Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Anfechtungsklage begründet ist. Der angefochtene Negativbeschluss entspricht nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, weil die Klägerin von den Beklagten die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen für den Stellplatznachweis bezüglich der aus der Teilung entstandenen zusätzlichen Wohnung fordern kann.
Nach § 21 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 WEG kann jeder Wohnungseigentümer von den übrigen Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft grundsätzlich verlangen, dass das Gemeinschaftseigentum plangerecht hergestellt wird, da unter Instandsetzung auch die erstmalige Herstellung des Gemeinschaftseigentums zu verstehen ist (Senat, Urteil vom 20. November 2015 - V ZR 284/14, NJW 2016, 473 Rn. 7, vorgesehen zum Abdruck in BGHZ; Urteil vom 14. November 2014 - V ZR 118/13, NJW 2015, 2027 Rn. 20). Der ordnungsmäßigen Instandhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums dienen auch Maßnahmen zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Anforderungen (Senat, Beschluss vom 19. September 2002 - V ZB 37/02, BGHZ 152, 63, 74 f.).
Die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen an den Stellplatznachweis bezüglich der Eigentumswohnung Nr. 339 betrifft die erstmalige ordnungsmäßige Herstellung des Gemeinschaftseigentums.
Für die Bestimmung des ordnungsmäßigen Anfangszustandes des Gemeinschaftseigentums nicht auf die im Jahre 1968 erteilte Baugenehmigung und die ihr zugrundeliegenden Baupläne abzustellen. Maßgebend ist vielmehr der Inhalt der Teilungserklärung vom 29. Mai 1969. Mit dieser Teilungserklärung in Verbindung mit dem Aufteilungsplan wurde erstmals die verbindliche Zuordnung von Räumen oder Gebäudeteilen zum Sonder- oder Gemeinschaftseigentum vorgenommen. Den für die Erstherstellung maßgeblichen Bauplänen und der Baubeschreibung kann dagegen nur Bedeutung zukommen, wenn der Aufteilungsplan keine Aussage trifft (vgl. Staudinger/Bub, BGB [2005], § 21 WEG Rn. 186a). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Teilungserklärung weist die beiden Wohneinheiten Nr. 337 und 339 aus, die nunmehr im Eigentum der Klägerin stehen. Dass die der zuvor erteilten Baugenehmigung zugrunde liegenden Pläne in diesem Bereich nur eine Wohneinheit vorgesehen haben, begründet eine formelle Baurechtswidrigkeit.
Die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen an den Stellplatznachweis ist Aufgabe aller Wohnungseigentümer, weil der Bauträger bereits bei der Errichtung der Wohnanlage und der Teilung nach § 8 WEG von den der Baugenehmigung zugrundeliegenden Plänen abgewichen ist und dadurch die öffentlich-rechtliche Verpflichtung besteht, weitere Stellplätze zu schaffen.
Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 LBO SH dürfen bauliche Anlagen, bei denen ein Zu- oder Abgangsverkehr zu erwarten ist, nur errichtet werden, wenn Stellplätze oder Garagen in ausreichender Größe und in geeigneter Beschaffenheit hergestellt werden. Die Stellplätze und Garagen sind gemäß § 50 Abs. 5 Satz 1 HS 1 LBO SH grundsätzlich auf dem Baugrundstück herzustellen. Die Verpflichtung zur Herstellung von Stellplätzen ist daher auf die bauliche Anlage und das Baugrundstück bezogen. Dies rechtfertigt es, die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Vorgaben der ordnungsmäßigen Herstellung des Gemeinschaftseigentums zu-zurechnen. Dass der fehlende Nachweis eines Stellplatzes hier einer bestimm-ten Wohnung zugeordnet werden kann, lässt die Pflicht der Wohnungseigentü-mer, den Anforderungen an den Stellplatznachweis nachzukommen, unberührt. Entscheidend ist, dass der Stellplatznachweis bereits durch den Bauträger vor dem Entstehen der werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft zu führen gewesen wäre (vgl. allgemein auch Staudinger/Bub, BGB [2005], § 21 WEG Rn. 186). Das Vorbringen der Beklagten, der Bauträger habe auf Veranlassung eines Käufers die Teilung der Wohnung in zwei Einheiten vorgenommen, ist unerheblich; denn es stand dem Bauträger bis zu dem Entstehen einer werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft frei, das Grundstück abweichend von den Bauplänen aufzuteilen (§ 903 BGB; Senat, Urteil vom 14. November 2014 - V ZR 118/13, NJW 2015, 2027 Rn. 10).
Für den Anspruch eines Wohnungseigentümers auf erstmalige ordnungsmäßige Herstellung des Gemeinschaftseigentums ist es ohne Belang, dass ein einzelner Wohnungseigentümer - neben der Gesamtheit der Wohnungseigentümer - als öffentlich-rechtlicher Zustandsstörer (vgl. dazu Elzer, ZMR 2015, 962) angesehen werden kann. Die öffentlich-rechtliche Störerhaftung dient der Einhaltung von im allgemeinen Interesse bestehenden Rechtsvorschriften und gibt der zuständigen Behörde entsprechende Eingriffsmöglichkeiten. Hingegen hat sie keine Auswirkungen auf den Anspruch des Wohnungseigentümers auf erstmalige Herstellung eines ordnungsmäßigen Zustands des Gemeinschaftseigentums.
Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagten schuldeten die Erfüllung des Stellplatznachweises unmittelbar und könnten daher durch Urteil entsprechend verpflichtet werden. Die Beklagten trifft lediglich die Pflicht, einen Beschluss zu fassen, um die Grundlage für ein Vorgehen des Verwalters nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG zu schaffen (vgl. OLG München, NJOZ 2010, 1872, 1873). Kommen sie dieser Verpflichtung - wie hier - nicht nach, kann das Gericht im Wege der Beschlussersetzungsklage nach § 21 Abs. 8 WEG anordnen, dass die Anforderungen an den Stellplatznachweis zu erfüllen sind.
Ein Beschlussersetzungsantrag ist von der Klägerin gestellt worden.
Dem Wortlaut nach ist ihr Klageantrag zwar darauf gerichtet, die übrigen Wohnungseigentümer zu verpflichten, einen Stellplatznachweis für die beiden Wohnungen der Klägerin zu führen, hilfsweise einen Stellplatzablösevertrag zu schließen. Für die Auslegung von Anträgen ist aber nicht allein der Wortlaut maßgebend. Entscheidend ist vielmehr der erklärte Wille, wie er aus der Klagebegründung, den sonstigen Begleitumständen und nicht zuletzt der Interessenlage hervorgeht. Im Zweifel gilt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. Senat, Urteil vom 12. Dezember 2014 - V ZR 53/14, NZM 2015, 218 Rn. 9; BGH, Urteil vom 7. März 2013 - VII ZR 223/11, NJW 2013, 1744 Rn. 23). Die Auslegung des klägerischen Antrags kann auch noch das Revisionsgericht vornehmen (vgl. Senat, Urteil vom 12. Dezember 2014 - V ZR 53/14, aaO Rn. 8).
Hiervon ausgehend ist das als Verpflichtungsantrag formulierte Klagebegehren im Sinne einer Gestaltungsklage nach § 21 Abs. 8 WEG zu verstehen. Das Rechtsschutzziel der Klägerin besteht - wie aus der Verbindung mit der Anfechtung des Negativbeschlusses und dem Klagevorbringen entnommen werden kann - darin, die in dem Beschlussantrag zu TOP 12 beschriebene Grundlage für ein Tätigwerden der Verwaltung zur Behebung der formellen Baurechtswidrigkeit ihrer Wohnungen zu schaffen. Mithin ist die Klage neben der Beschlussanfechtung auf eine Beschlussersetzung gerichtet. Dass der Klageantrag keinen konkreten Beschlussinhalt wiedergibt, ist unerheblich. Ausreichend für die Bestimmtheit des Klageantrages ist insoweit - anders als nach der allgemeinen Vorschrift des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO - die Angabe des Rechtsschutzziels, weil bei der Beschlussersetzung nach § 21 Abs. 8 WEG das grundsätzlich den Wohnungseigentümern zustehende Ermessen von dem Gericht ausgeübt wird (vgl. Senat, Urteil vom 24. Mai 2013 - V ZR 182/12, NJW 2013, 2271 Rn. 23 mwN).
Gemäß § 21 Abs. 8 WEG kann das Gericht an Stelle der Wohnungseigentümer über eine nach dem Gesetz erforderliche Maßnahme nach billigem Ermessen entscheiden, wenn die Wohnungseigentümer diese nicht treffen, soweit sich die Maßnahme nicht aus dem Gesetz, einer Vereinbarung oder einem Beschluss der Wohnungseigentümer ergibt. Diese Voraussetzungen liegen vor, da die Beklagten die von der Klägerin beantragte Maßnahme zur Erfüllung der Vorgaben des § 50 LBO SH und der damit verbundenen Führung des Stellplatznachweises mehrheitlich abgelehnt haben (vgl. Senat, Urteil vom 15. Januar 2010 - V ZR 114/09, BGHZ 184, 88 Rn. 21). Wegen des mit der Beschlussersetzung nach § 21 Abs. 8 WEG verbundenen Eingriffs in die Privatautonomie der Wohnungseigentümer dürfen Maßnahmen nur insoweit angeordnet werden, als dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes unbedingt notwendig ist (Senat, Urteil vom 24. Mai 2013 - V ZR 182/12, NJW 2013, 2271 Rn. 31). Dem ist vorliegend dadurch Rechnung zu tragen, dass sich die gerichtliche Gestaltung auf die Anordnung beschränkt, dass den Anforderungen des § 50 LBO SH im Hinblick auf die Wohnung Nr. 339 der Klägerin nachzukommen ist. Entgegen der Ansicht der Revision ist ein Beschluss mit einem derartigen Inhalt auch hinreichend bestimmt. Die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten der Wohnungseigentümer zur Wahrung der Vorgaben des Bauordnungsrechts ergeben sich unmittelbar aus § 50 LBO SH. Auf welchem Weg dies erfolgt, bleibt den Wohnungseigentümern überlassen.
Vorinstanzen:
AG Niebüll, Entscheidung vom 05.02.2014 - 18 C 42/13 -
LG Itzehoe, Entscheidung vom 14.10.2014 - 11 S 13/14 -
Quelle: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.02.2016 - V ZR 250/14 -